Jemen

Die Folgen des Kriegs lindern

Situationsreport

Am Horizont schimmern Lichtblicke, doch im Tal ist noch tiefste Nacht. So könnte man die derzeitige Situation im Jemen beschreiben. Eine sechsmonatige Waffenruhe von April bis Oktober im vergangenen Jahr 2022 sowie Friedensgespräche zwischen den Huthi-Rebellen und Saudi-Arabien unter Vermittlung des Omans im Frühjahr 2023 lassen auf Frieden hoffen. Doch in der Bevölkerung geht die Not weiter. Auch wenn die Zahl der durch Konflikte getöteten Menschen um 60 % sank, gab es unermessliches Leid durch die Folgen der Kriegsjahre. Im vergangenen Jahr stieg die Anzahl Menschen, die durch nicht explodierte Bomben oder Minen ums Leben kamen oder verstümmelt wurden.

Der Krieg selbst ist nicht mehr das grösste Übel für die Bewohner des Jemens. Indirekte Folgen wie die Vertreibung von 4,5 Millionen Menschen innerhalb des Landes sind weit schlimmer. Andere Folgen sind die Zerstörung des Gesundheitssystems, ausbleibende Zahlungen der regulären Gehälter der Beamten, Überschwemmungen, die Cholera-Epidemie, die Seeblockade, eingeschränkte Rede-, Meinungs- und Religionsfreiheit und nicht zuletzt die weltweit grösste Hungersnot.

Von 34,5 Millionen Einwohnern leiden 27,9 Millionen (mehr als 80 %) unter miserablen Lebensbedingungen und 21,6 Millionen sind in akute Not geraten. Die Hungersnot trifft besonders die Teile der Bevölkerung, die schon am schwersten unter der Katastrophe leiden: Kinder, ältere Personen und Binnenflüchtlinge. Etwa 2,2 Millionen Kinder unter 5 Jahren leiden an Mangelernährung und mehr als 500’000 von ihnen sind stark unterernährt, was bedeutet, dass ein Hungertod in nächster Zeit nicht ausgeschlossen werden kann. Hinter jeder dieser Zahlen verbergen sich tragische Einzelschicksale von Personen, die auch in dieser Zeit der Friedensgespräche ums Überleben kämpfen.

Projektdurchführung

Angesichts der grossen, fortdauernden Not setzte sich Anugerah auch im Jahr 2022 für Notleidende ein. In 10 von 22 Gouvernements des Jemens half Anugerah Binnenflüchtlingen, Schutzbedürftigen, Familien marginalisierter Minderheiten wie beispielsweise der Achdam, Witwen, Waisen, älteren Menschen, Kindern und Säuglingen, Behinderten und chronisch Kranken. Das geschah durch Lebensmittelpakete, Trinkwasserversorgung, medizinische Nothilfe, Notunterkünfte für Binnenflüchtlinge und Waisen sowie die Ermöglichung von Schulbildung und Weiterbildungen. Möglich waren diese Projekte nur durch den aufopferungsvollen Einsatz lokaler Kräfte, die sich trotz schwieriger und bedrohlicher Umstände vor Ort uneigennützig einsetzten.

1. Lebensmittel- & Trinkwasserversorgung

Mit mehr als 150’000 Empfängern von Lebensmitteln und Trinkwasserversorgung ist dieser Bereich eindeutig der grösste in der Hilfe von Anugerah im Jemen. Wie oben beschrieben, ist im Jemen der Hunger die grösste Bedrohung und betrifft die Mehrheit der Bevölkerung. In 10 der 22 Gouvernements führen einheimische Teams regelmässige Verteilungen von Lebensmitteln durch. Hierbei achten sie darauf, dass die bedürftigsten Familien ausreichend Hilfe erhalten.

Neben Lebensmitteln ist die Versorgung mit sauberem Trinkwasser grundlegend. Durch den Krieg haben viele Jemeniten ihren Zugang zu trinkbarem Wasser verloren. Häufig sind Familien dann gezwungen, ihre Kinder zu entfernten Wasserstellen zu schicken, wodurch diese ihre Schulbildung aufgeben müssen, oder sie benutzen verdreckte Brunnen voller Krankheitserreger. Das führt zu einer hohen Zahl von Jemeniten, die unter vermeidbaren Krankheiten leiden.

Anugerah setzt sich dafür ein, dass betroffene Familien wieder Anschluss zu einer sauberen Trinkwasserversorgung bekommen. Hierfür werden ihnen Regenwassersammelanlagen gespendet. Das Regenwasser wird darin gesammelt und durch ein Filtersystem geleitet. Nach einer Einweisung können Familien damit selber Trinkwasser gewinnen. 1’450 Familien erhielten im vergangenen Jahr eine solche Regenwassersammelanlage.

2. Medizinische Nothilfe

Durch den Bürgerkrieg ist der Bedarf an medizinischer Notfallversorgung enorm gestiegen, aber leider sind auch die Möglichkeiten gesunken, Kranke und Verletzte zu behandeln. Darüber hinaus ist aufgrund der schlechten Versorgungslage die Anzahl vermeidbarer Krankheiten gestiegen. Zusätzlich leiden viele wegen ihren Erlebnissen im Krieg unter posttraumatischen Belastungsstörungen. Anugerah engagiert sich vor Ort, damit Betroffene die notwendige Hilfe erhalten.

Durch die Bereitstellung von Containern mit Hygieneartikeln und Medikamenten konnte Anugerah örtliche medizinische Fachkräfte beim Retten von Leben unterstützen. Mehr als tausend Kinder, die unter posttraumatischen Belastungsstörungen litten, wurden psychologisch betreut. Mehr als 700 Personen nahmen psychologische Angebote für Erwachsene in Anspruch und durften Hilfe erfahren. Darüber hinaus waren medizinische Teams in verschiedenen Regionen unterwegs, um in den Dörfern Ernährungsberatung und -hilfe anzubieten. Insgesamt konnte Anugerah 10’300 notleidende Menschen im Jemen medizinisch versorgen.

3. Notunterkünfte: Flüchtlings- & Waisenhilfe

Anugerah stand im Jahr 2022 auch Vertriebenen zur Seite. Dazu gehörten solche, die aufgrund des Bürgerkriegs fliehen mussten, aber auch Mitglieder von Minderheiten, die untertauchen mussten. Anugerah sorgte für sichere Aufenthaltsorte für Einzelpersonen oder gesamte Familien. Die Hilfe umfasste auch die Versorgung mit Lebensmitteln, Hygieneartikeln und bei Bedarf psychologischer Betreuung. So wurden betroffene Familien vor weiterer Ausbeutung geschützt. Für Kinder aus Flüchtlingsfamilien wurde ein Schulangebot geschaffen.

4. Schule und Ausbildung

Neben den drei oben beschriebenen Bereichen, die zum Ziel hatten, die Not zu lindern, hatte der vierte Bereich das Ziel, für die Zukunft auszurüsten. Die Kinder und Jugendlichen sind die Zukunft des Landes. Darum setzte sich der Verein Anugerah für die Schulbildung ein, ohne dabei die Erwachsenen aus dem Blick zu verlieren. Insgesamt profitierten im Jahr 2022 fast 20’000 Jemeniten direkt von der Hilfe im Bereich der Bildung. Dazu gehörte der Aufbau, Wiederaufbau oder die Renovation von Klassenräumen oder alternativen Räumlichkeiten für den Unterricht. Daneben wurden Stipendien für Schulkinder vergeben.

Ein besonderes Augenmerk lag auf Minderheiten wie den Achdam, denen ansonsten der Zugang zu Bildung verwehrt wird. Als Nachfahren früherer Sklaven werden die Achdam, die aufgrund ihrer dunkleren Hautfarbe leicht identifizierbar sind, auch heute noch stark diskriminiert. Neben den Schulkindern wurden auch die Lehrer und Eltern gestärkt. Für Lehrer wurden Weiterbildungen ermöglicht. Eltern erhielten Trainings, wie sie ihre Kinder zum Lernen animieren können, auch wenn sie zum Teil selber nicht lesen und schreiben können.

Projektfazit

In verschiedenen Bereichen konnte Anugerah vielen bedürftigen Irakern eine Unterstützung in der Not sein: bei der Verarbeitung von Traumata, bei den Nöten der Gegenwart und bei Investitionen für die Zukunft, um gemeinsaam auf einen blühenden Irak hinzuarbeiten. Nur durch die Zusammenarbeit mit vielen hingebungsvollen, lokalen Mitarbeitern, die sich eindrucksvoll um die Nöte ihrer Landsleute kümmern, war das Engagement von Anugerah möglich. In seiner Arbeit für die Ärmsten ist Anugerah dankbar für seine lokalen Mitarbeiter, für die gute Kooperation mit den örtlichen Behörden sowie für die Unterstützung aus der Schweiz. Anugerah setzt sich auch weiterhin dafür ein, dass die Schrecken der Vergangenheit überwunden werden und gemeinsam freudig in die Zukunft geschaut werden kann.

Herzlichen Dank!

Projekt unterstützt vom Lotteriefonds Kanton Bern